Köln: 08.–10.02.2025 #spogahorse

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Der spoga horse Ländercheck (10): Die Pferdebranche in Belgien

Die spoga horse ist die weltweit führende B2B-Messe für die Pferdebranche. Ein wesentlicher Pluspunkt für Besucher und Aussteller: Ihre Internationalität. Aussteller aus 33 Ländern und Besucher aus 72 Ländern nahmen an der spoga horse Herbst 2019 teil. Die Vernetzung von Geschäftspartnern über Ländergrenzen hinweg ist ein wichtiger Auftrag der spoga horse. Deswegen werfen wir in der neuen Serie „spoga horse Ländercheck“ einen genauen Blick auf die wichtigsten Absatzmärkte der spoga horse.

Hinweis: Es handelt sich um teilweise gekürzte Fassungen der ursprünglich im Fachmagazin „ReitsportBRANCHE“ erschienen Artikel von Sebastian Reichert. Wenn Sie Interesse an den vollständigen Publikationen haben, können Sie die die komplette Ländlercheck-Serie über info@reitsport-branche.com bestellen.

Europas Pferdesport-Drehkreuz

Vergleichsweise klein, aber gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale – und ein wachsender Markt. So könnte man in Kurzform das Pferde(sport)land Belgien beschreiben. Nur an der belgischen Nordseeküste gibt es noch das jahrhundertealte Krabbenfischen zu Pferd – ein immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Die belgischen Gestüte beschreiten seit Jahrzehnten in der Zucht vollkommen neue Wege. Heute laufen in Zangersheide zum Beispiel geklonte Star-Pferde über die Weide.

Der Flughafen Lüttich ist ein besonderer Drehkreuz-Spezialist für Flüge für Pferde. Und nicht zu vergessen: Die Geschicke des Weltverbands FEI lenkt mit Ingmar De Vos ein Belgier.

In Teil 10 unserer Serie „Länder-Check“ stellen wir Belgien und seine Reitsportbranche vor.

Der FEI-Präsident spricht gegenüber Reitsport BRANCHE von Belgien als einem „sehr erfolgreichen Reitsportland“ und einem „wichtigen Land des Pferdehandels“ mit einer „großen Tradition in der Pferdezucht“. Eva Vanwijnsberghe, Pressesprecherin der Vlaamse Liga Paardensport (VLP), ergänzt: „Belgien ist definitiv ein Pferdesportland. Auch im Jahr 2018 boomt der Pferdesport. Er wächst weiter.“ Der Pferdesektor in Belgien profitiert dabei – wie die gesamte Wirtschaft im Land – von gleich mehreren Faktoren. Unter anderem der Lage in der Mitte Europas. Belgien – eine parlamentarische Monarchie, dessen Name sich auf die römische Provinz Gallia Belgica gründet – ist ein föderaler Staat in Westeuropa mit rund 11,4 Millionen Einwohnern. Nachbarn sind die Niederlande, Deutschland, Luxemburg und Frankreich – allesamt Pferdesportnationen und für Belgier schnell zu erreichen. Seit 2013 ist König Philippe das Staatsoberhaupt des Landes. Premierminister des Benelux-Landes ist seit 2014 Charles Michel.

Blick auf die Hauptstadt Brüssel.

Blick auf die Hauptstadt Brüssel.

Drei Regionen

Der seit der Staatsgründung im Jahr 1831 anhaltende flämisch-wallonische Konflikt zwischen den niederländisch- (60 Prozent) und den französischsprachigen (39 Prozent) Einwohnern hat nach einer Verfassungsänderung 1993 zu einer Aufgliederung in drei Regionen – das niederländischsprachige Flandern, die frankophone Wallonie und die zweisprachige Region Brüssel-Hauptstadt – mit eigenen Parlamenten geführt. Während es in Flandern mehr professionelle Reiter und Ställe gibt, weist die ländlicher und forstwirtschaftlicher geprägtere Wallonie mehr Freizeitreiter auf.

Abgesehen vom Bergland der Ardennen im Südosten ist Belgien weitgehend eben. Die höchste Erhebung ist die Botrange mit 694 Metern über dem Meeresspiegel. Die belgische Nordseeküste ist 72,3 km lang. Die längste Überland-Straßenbahnlinie der Welt, die Kusttram, verbindet dort auf ihrer 68 Kilometer langen Strecke alle belgischen Küstenorte.

Neben der Kusttram ist das Krabbenfischen zu Pferd einer der Attraktionen an der belgischen Küste. Oostduinkerke ist der einzige Ort in Europa, an dem noch zu Pferd Krabben gefangen werden.

Krabbenfischen zu Pferde

Bei Ebbe reiten die Fischer in gelbem Ölzeug, hohen Stiefeln und mit einem Südwester auf dem Kopf sowie auf einem Holzsattel sitzend auf Brabanter-Pferden durch die Wellen. Die bis zu einer Tonne schweren Kaltblüter, den das Wasser dabei bis zur Brust geht, ziehen acht Meter breite Netze hinter sich her. „Ein Brabanter liebt das Meer nicht von Natur aus. Es braucht ungefähr ein Jahr, bis man ihm beigebracht hat, wie er ins Meer gehen soll und wie das Fischen funktioniert“, berichtet Fischer Stefan Hanke. „Je mehr Vertrauen das Pferd zu seinem Menschen hat, umso besser wird es auch beim Fischen sein.“ Am Strand von Oostduinkerke ist den Paardenvissers nicht nur ein Denkmal gesetzt worden, dort wird die Tradition des Krabbenfischens zu Pferd, die sich bis ins Jahr 1502 zurückverfolgen lässt, weiter fortgeschrieben.

Fast 98 Prozent Belgier leben unterdessen in Städten. Damit ist der Grad der Urbanisierung mit der höchste in Europa. Belgien zählt zu den Staaten, die am dichtesten besiedelt sind. Mit 520.000 Einwohnern hat Antwerpen die meisten Einwohner. Auf den Plätzen folgen Gent (260.000), Charleroi (201.000), Lüttich (198.000) und Brüssel (177.000). In der Region Brüssel-Hauptstadt leben 1,2 Millionen Menschen. Die Hauptstadt ist als Sitz wichtiger europäischer Organisationen und der Nato eine der bedeutendsten Verwaltungszentren des Kontinents.

Krabbenfischer in Oostduinkerke

Traditioneller Krabbenfischer in Oostduinkerke

Pferdefleisch beliebt

Kulinarisch ist Belgien unter anderem für seine Waffeln und Pralinen-Spezialitäten sowie seine Pommes-Kultur berühmt. So gibt es mit dem Ordre National du Cornet d’O sogar eine Frittentüten-Vereinigung, die sich für Pommes aus der Papiertüte und gegen Pommes aus der Plastikschale einsetzt. Das belgische Königreich ist nach Eurostat-Zahlen von 2012 aber auch das Land, aus dem nach wie vor das meiste Pferdefleisch kommt.

Belgien ist trotz seiner geringen Größe – es ist knapp so groß wie das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen – als Drehkreuz in Nordwesteuropa und ausgesprochenes Transitland einer der wichtigsten Industriestaaten Europas. Europas zweitgrößter Hafen Antwerpen hat 2017 mit 224 Millionen Tonnen mehr umgeschlagen als Hamburg (137 Millionen Tonnen) und Bremen (73 Millionen Tonnen) zusammen. Der starke Auslandsabsatz hat die rasche Bewältigung der Wirtschaftskrise gefördert. Im Vergleich zu Flandern und der Hauptstadtregion fällt Wallonien allerdings hinsichtlich der Wirtschaftskraft deutlich ab.

Bedeutender Handelspartner

Das EU-Mitglied, das 2017 ein Bruttoinlandprodukt von 438,2 Milliarden Euro aufwies (mit aktuell steigender Tendenz), ist als sehr offene Volkswirtschaft mit einem vergleichsweise hohen Preisniveau auch ein bedeutender Handelspartner Deutschlands. Belgien exportierte 2017 insgesamt Güter im Wert von 381,0 Milliarden Euro und importierte Waren im Wert von 360,2 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik ist mit einem Einfuhranteil von 13,8 Prozent Belgiens zweitwichtigster Lieferant – nach den Niederlanden (17,2 Prozent) und vor Frankreich (9,5 Prozent). 2017 gingen 16,6 Prozent aller belgischen Ausfuhren nach Deutschland (Frankreich: 14,9 Prozent, Niederlande: 12,0 Prozent). Für Deutschland ist Belgien der viertwichtigste Handelspartner, was den Export ins Ausland betrifft.

Im belgischen Pferdesport gibt es laut der Interessengruppe EWalTop, an der etwa 15 belgische Pferdeunternehmen beteiligt sind, ungefähr 17.500 Vollzeitäquivalente sowie über 2100 Unternehmen „mit einer unbedeutenden Anzahl an Insolvenzen“. Eine zwischen 2008 und 2016 durchgeführte Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Pferdezucht unterstreicht die große wirtschaftliche Bedeutung des Pferdesektors. Allein in Flandern wird nach Angaben des Verbandes Vlaamse Confederatie van het Paard (VCP) von 1750 Betrieben der Branche ein Mehrwert von 219 Millionen Euro für die flämische Wirtschaft erzielt. Dachverband aller Pferdesportler ist die Federation Royale Belge Des Sports Equestres (FRBSE) mit etwa 77.000 Mitgliedern. Der FRBSE-Vorgängerverband „Comité Central Hippique Belge“ war einer von acht nationalen Verbänden, die 1921 in Paris den Weltverband FEI gründeten. Seit 2014 ist mit Ingmar De Vos, der seit 2017 auch IOC-Mitglied ist, ein Belgier FEI-Präsident; wie schon von 1946 bis 1954, als Gaston de Trannoy die Geschicke des Weltverbandes leitete.

Die in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommene Autonomie der belgischen Regionen zeigt sich indes bis in die Verwaltung des Pferdesports. Seit 2000 ist der belgische Dachverband in einen französisch- und eine niederländischsprachigen Flügel aufgeteilt. Der Vlaamse Liga Paardensport (VLP) gehörten 2017 nach eigenen Angaben 600 Vereine und 38.948 Mitglieder an. Die Ligue Equestre Wallonie Bruxelles (LEWB) ist mit über 37.500 Mitgliedern und 700 angegliederten Clubs der viertgrößte Sportverband in der Französischen Gemeinschaft Belgiens.

Reitsport die Nummer 3

In Belgien mit Radsport als Nationalsport Nummer eins ist Reiten laut EWal-Top der Sport, der von den drittmeisten Menschen praktiziert wird; von mehr als 200.000 (davon besitzen etwa ein Zehntel eine Wettkampflizenz). Bei den Frauen ist Reitsport die Sportart Nummer eins. Und noch in einem anderen Ranking, das allerdings mehr oder weniger auf Schätzungen beruht, landen Pferde in Belgien auf Platz eins – zumindest nach dem Report „The Health and Welfare of European Equidae in 2015“. Demnach ist Belgien nämlich im Verhältnis zur Bevölkerung das p f e r d e r e i c h s t e Land der Welt. Auf 1000 Einwohner kommen laut der Erhebung 47 Pferde.

Der Brabanter ist dabei eine der bedeutendsten Kaltblutrassen. Das Belgische Kaltblut war die Ausgangsbasis für viele andere sehr erfolgreiche Kaltblüter. In den Studbooks Rankings des Weltzuchtverbandes WBFSH von August 2018 belegen Pferde des Belgischen Warmbluts die Position zwei in der Springpferdezucht. Die Hälfte der Springpferde auf dem Podium der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 waren Belgier. „Ich wünsche Dir sehr, dass Du deine Rente auf der Weide in Lanaken noch viele Jahre genießen kannst und außerdem noch viele Kinder in die Welt setzt, die Deine Genialität besitzen“, verabschiedete der frühere Weltranglisten-Erste Christian Ahlmann sein Pferd Taloubet Z Anfang 2018 in den Ruhestand. Taloubet Z stammt vom belgischen Gestüt Zangersheide – der Buchstabe steht als Wiedererkennungswert für Zangersheide („singende Heide“).

Gent in Belgien

Die belgische Stadt Gent.

Ungewöhnliche Wege

Zangersheide-Gründer Léon Melchior – Ahlmann ist mit dessen Tochter Judy Ann, inzwischen Gestütsleitern, liiert – ging, zunächst belächelt, schon früh ungewöhnliche Wege. Er kreuzte nicht nur Zuchtlinien, sondern war auch der Erste, der Stuten künstlich besamen ließ. Die Vorrichtung, auf die der erste Hengst dafür sprang, hatte Melchior aus einen Motorradreifen gebaut. Aktuell versucht das Gestüt mit dem Klonen vor Star-Pferden weiter Geschichte zu schreiben. So gibt es dort unter anderem schon mehrere Klone von Ratina Z, dem erfolgreichsten Championatspferd im Springreiten, dem Ludger Beerbaum nach dessen Tod eine Bronzestatue errichten ließ.

„Belgische Züchter waren schon immer sehr liberal und dachten europäisch“, führt FRBSE-Sprecherin Edith De Reys unter anderem in Bezug auf die drei Zuchtbücher Belgisches Warmblut (BWP), Belgisches Sportpferd (SBS) und Zangersheider Pferd aus. „Die Zuchtbücher waren nicht wie alle anderen europäischen Zuchtbücher geschlossen. Züchter durften immer ausländische Hengste und Stuten verwenden.“ „Belgische Pferde haben einen hervorragenden Ruf“, zitiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk (RTBF) Anne Laure Lejeune von der Confédération Wallonie Bruxelles du Cheval (CWBC).

Pferdehotel Horse Inn

Wahre Pferde-Spezialisten gibt es auch am (Fracht-)Flughafen Lüttich-Bierset. Tausende Pferde werden jährlich von dort ins Ausland zu internationalen Turnieren geflogen. Durch das 2016 eröffnete Pferdehotel „Horse Inn“ soll sich die Zahl der vierbeinigen Flugpassiere in Lüttich auf bis zu 10.000 pro Jahr erhöhen. Zum Vergleich: Vom Frankfurter Flughafen heben jährlich mehr als 2000 Pferde ab. 2,6 Millionen Euro hat der Lütticher Airport in das Projekt investiert. „Pro Jahr rechnen wir mit mindestens 500 Flugzeugen allein für die Pferde“, wird Luc Partoune, Generaldirektor vom Airport Liège, vom Belgischen Rundfunk (BRF) zitiert. „Wir genießen auf internationaler Ebene den Ruf einer außerordentlichen Qualität.“

Mit Cavalor (Pferdeernährung), Compositi (Steigbügel), Dy'on (Reitsportkleidung/- zubehör), Göbel (Importeur von Reitsportartikeln und Schermaschinen), Kentucky Horsewear (Gamaschen, Zubehör) und Kevin Bacon's (Huffett) waren sechs Unternehmen aus Belgien im Herbst 2018 auf der spoga Hhorse vertreten. Thomas Tuytens, CEO von Kentucky Horsewear, schätzt, dass in Belgien etwa 100 Reitsportgeschäfte existieren. „Von diesen Fachhändlern gibt es etwa 20 Geschäfte, die High-End-Produkte anbieten, und fünf Geschäfte, die wirklich hervorstechen und einen Umsatz von über eine Million Euro erzielen.“

Große immer größer

Tytens beobachtet auch in Belgien die Entwicklung, dass die großen Geschäfte immer größer und erfolgreicher werden, während die kleinen Geschäfte immer mehr in Schwierigkeiten geraten. Große Einzelhandelsketten funktionieren andererseits in Belgien in der Reitsportindustrie nicht, erklärt der Geschäftsführer von Kentucky Horsewear. Sie gibt es nicht. „Belgien ist ein völlig anderes Land als Frankreich oder Deutschland“, sagt Tuytens. „Die Menschen in Belgien geben im Durchschnitt mehr Geld für qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen aus.“

Nichtsdestotrotz nimmt auch in Belgien Decathlon mit 33 Einzelhandelsfilialen eine starke Position ein. Die niederländische Einzelhandelskette „Epplejeck“ ist mit der einzigen außerhalb der Niederlande gelegenen Filiale in Zaventem in der Nähe des Flughafens Brussels Airport vertreten.

Den großen Einfluss, den deutsche Unternehmen auf den belgischen Reitsportfachhandel hatten, betrachtet der CEO von Kentucky Horsewear indes als immer mehr schwindend. Sie hätten in der Vergangenheit zu sehr auf ihre führende Position vertraut und den globaler werdenden Wettbewerb nicht beachtet. Tuytens: „Heute sind auf dem belgischen Markt viele neue Marken aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und aus Skandinavien sehr präsent. Sie haben einen großen Marktanteil deutscher Unternehmen eingenommen.“

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Autor: Sebastian Reichert

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